Acht milde Urteile

Höchster Kreisblatt, 29.10.2012
Ein Kerbevisum wurde ausgestellt – Nachsicht mit einem „Fahnenflüchtigen“, der nun Flagge zeigen muss
Der evangelische Pfarrer Karl Endemann bleibt in Sulzbach und wird nicht nach Bad Soden ausgeliefert. Das Kerbegericht lehnte einen entsprechenden Antrag der Nachbarstadt ab. Endemann hatte mit einem Liedtext im Kerbegottesdienst die Sulzbacher begeistert und die Sodener verärgert.
Es wurde viel gelacht, als das Sulzbacher Kerbegericht nach der traditionellen Hannesverbrennung zum Abschluss des Kirchweihfestes 2012 im Bürgerhaussaal zusammentrat und acht Fälle behandelte. Acht hochinteressante Fälle, bei deren Behandlung sich Staatsanwalt Jochen Bauer und Pflichtverteidiger Stefan Uhrig heftige verbale Debatten lieferten, aber Richter Sven Ewald immer wieder souverän urteilte.
„Danke“
Zwei Fälle wurden in der Beweisaufnahme untermauert von Schlagzeilen und Artikeln des Kreisblattes, die in den vergangenen Tagen erschienen sind. Der spektakulärste Fall ist zweifellos der Antrag der Stadt Bad Soden zur Auslieferung des evangelischen Pfarrers Karl Endemann. Der hatte im Kerbegottesdienst am 21. Oktober das flotte Kirchenlied „Danke“ auf die Kerb umgetextet und mit Unterstützung der mit einem Liedblatt ausgestatteten Gemeinde lautstark gesungen: „Danke, wir wohnen nicht in Soden. Danke, die Kerb ist uns allein. Danke, wir wollen nirgends als nur hier in Sulzbach sein.“
Das Kreisblatt nahm den Satz „Danke, wir wohnen nicht in Soden“ als Schlagzeile, die auch von Staatsanwalt Bauer während der Gerichtsverhandlung auf der Leinwand gezeigt wurde. Das einstimmige Urteil: Endemann, der – wie berichtet – im nächsten Jahr nach Flörsheim wechselt – bleibt bis dahin in Sulzbach und wird nicht nach Bad Soden – im Kerbeborsch-Jargon „Die verbotene Stadt“ – ausgeliefert. Der Pastor wurde im Gerichtssaal gefeiert, musste die Gitarre umhängen und den Vers, der zur neuen Sulzbacher Kerbeborsch-Hymne wurde, noch einmal singen.
Auch die Geschichte des knapp ein Jahr alten Mini-Kerbeborsch Ryan Hecker war durch die Berichterstattung des Höchster Kreisblatts zum Fall für den Staatsanwalt geworden. Ryan war noch nicht geboren, als die Kerbegerichtsbarkeit – der Fall ging bis zum Hessischen Kerbeobergericht in Wiesbaden – entschied, dass der Knirps der Kerbevereinigung der Mutter, Julia Hecker, nämlich Sulzbach, zugeteilt wird. Die Eltern widersetzten sich aber und nahmen den Sprössling auch mit zur Liederbacher Kerbevereinigung, der der Vater Ron Hecker angehört.
Freie Kerbe-Wahl
Während sich Staatsanwalt Bauer darüber empörte, hielt Verteidiger Uhrig entgegen, dass in einem freien Reichsdorf jeder zu der Kerb gehen kann, zu der er gehen will. Der Verteidiger forderte ein internationales Kerbevisum für die ganze Familie Hecker. Richter Ewald entschied, dass sich Ryan im Alter von sechs bis 16 Jahren selbst entscheiden soll, wohin er tendiert. Allerdings soll dem Jungen ein Vormund der Sulzbacher Kerbegesellschaft zur Seite gestellt werden, „damit da nichts schief geht“.
Spannend war auch der Fall des neuen Öffentlichkeitsbeauftragten des Sulzbacher Kerbevereins, Mario Pfeiffer, der kurz nach seiner Wahl in den Stadtteil Neuenhain der „verbotenen Stadt“ gezogen ist. Der Staatsanwalt sprach von „Fahnenflucht“ und forderte, das Wohnhaus des Vorstandsmitglieds in Neuenhain in den Sulzbacher Farben rot-gelb zu streichen. Der Verteidiger hob die Verdienste des Abtrünnigen um die neue Homepage des Kerbevereins hervor. Zudem habe sich Mario Pfeiffer nur nach Neuenhain zurückgezogen, um dort ungestört für den Kerbeverein arbeiten zu können, denn die Sulzbacher Kerbeborsche würden ja immer in ihren Sprachgesängen rufen: „In Sode iss nix los“. Das milde Urteil: Mario Pfeiffer muss im nächsten Jahr während der Kerb in seinem Wohnhaus in Neuenhain aus jedem Fenster eine Fahne der Sulzbacher Kerb raushängen und damit klar machen, wo sein eigentliches Zuhause ist. (mir)